Protokoll
Jean-François
Lyotard (1924-1998):
Das postmoderne
Wissen
Ein Vortrag von Tobias Elze, gehalten
am 14. Mai 1998.
Inhalt:
1) Einleitung
2) Biographie
3) La Condition postmoderne
1) Einleitung:
-
Zeitgenössische Philosophen: oft eher geringer Bekanntheitsgrad
-
eine der wenigen Ausnahmen: dieser französische Denker
-
viel umstritten, oft mißverstanden
2) Biographie:
-
* 1924 in Versaille
-
mit 26 Jahren: Dozent in Algerien
-
während Algerienkrieg: Gymnasiallehrer
-
unter Eindruck der algerischen Erfahrungen: Auseinandersetzung
mit Politk und Gesellschaft
-
stark vom Marxismus beeinflußt; wird Mitglied der kommunistisch
geprägten Gewekschaft CGT
-
1954:
Mitglied der marxistischen Gruppe nach der gleichnamigen Zeitschrift «Socialisme
ou Barbarie» (antistalinistisch, antikapitalistisch, kritisch gegenüber
Trotzkisten und personenkultischen Tendenzen des Maoismus)
-
veröffentlicht 1955 bis 1963 in dieser Zeitschrift unter
Pseudonym Artikel über den Algerienkonflikt
-
1964 Spaltung der Gruppe; frühere Mitglieder günden
Zeitschrift
-
1964 Austritt aus «Socialisme ou Barbarie», Mitarbeit
an «Pouvoir ouvrier» (eher aus Freundschaft zu Historiker Pierre
Souyri denn aus politischen Gründen)
-
1966 Bruch und Austritt; Zerbrechen alter Freundschaften,
persönliche Krise
-
begreift sich nach wie vor als linker Denker und Kapitalismuskritiker
-
1968: während Revolte ein letztes Mal als Linker politisch
aktiv [hat ihm Staat nie verziehen: erhielt nie ordentliche Professur]
-
1971: Erlangung des doctorat d'etat (etwa Habilitation)
-
1972 außerordentliche Professur an Universität
Paris VIII (St. Denis), später auch Gastprofessuren u. a. in Berkeley,
Irvine und Yale
-
1979: «La Condition postmoderne» - schlagartige
Popularität
-
1983: «Le différend» («Der Widerstreit»)
-
1984 Direktor des Collège international de philosophie
in Paris
-
1987 emeritiert
-
danach: Vorträge und Veröffentlichungen
-
1998 Tod in Paris nach langer schwerer Krankheit
Lebenswerk:
-
radikale Revision von Kunst und Ästhetik à
neudefinierter Modernitätsbegriff
-
auf Grundlage dessen und intensiver, kritischer Auseinandersetzung
u. a. mit Freud und Marx, später v. a. Kant und Wittgenstein: kritische
Theorie einer sog. «Postmoderne»
-
gemeint: ideologischer Entwurf neuer ökonomischer, sozialer
und politischer «Philosophie des Wissens»
-
Hauptwerke: La Condition postmoderne und Le différend
-
darin: Frage, wie man nach Auschwitz «die Ehre des
Denkens» retten könne
-
vor allem in D vielfach mißverstanden: wegen kritischer
Auseinandersetzung mit Marxismus: «Neokonservativer»; darüber
hinaus: Verhöhnung der Opfer von Auschwitz (als Ehemann einer Jüdin,
deren Familie in Auschwitz umgekommen war!)
3) La Condition postmoderne
-
ironischerweise nur Gelegenheitsarbeit Lyotards
-
im Auftrag des Universitätsrats der Regierung von Québec
1979
-
postmodern: nach-neuzeitlich, bezeichnet «den Zustand
der Kultur nach den Transformationen, welche die Regeln der Spiele der
Wissenschaft, der Literatur und der Künste seit dem Ende des 19. Jahrhunderts
getroffen haben»
-
Lyotards Modell: «la crise des récits»
(die Krise derErzählungen)
-
Erzählungen: etwa: Erklärungs- und Gedankenmodelle;
Wissenschaft steht solchen Modellen stets kritisch gegenüber
-
aber: Wissenschaft hat den Anspruch, nach der Wahrheit zu
suchen
-
irgendjemand muß festlegen, was das Wahre ist
-
à tendiert dazu, sich
selbst in ihrem Legitimationsdiskurs (S. 13) auf die eine oder andere «große
Erzählung» zu berufen, bspw: Dialektik des Geistes, Hermeneutik
des Sinns, Emanzipation des vernünftigen oder arbeitenden Subjekts
(Aufklärung, Geschichtsphilosophie; Systemtheorie oder marxistische
Strömungen à la Socialisme ou Barbarie)
-
wenn sie das tut: modern
-
Postmodern: Skepsis gegenüber diesen großen Erzählungen
-
Methode: Wittgensteins Sprachspiele
-
"Eine ganze Wolke von Philosophie kondensiert zu einem Tröpfchen
Sprachlehre."
-
verschiedene Sprachspiele: Erzählen, Versprechen, Befehlen
etc.
-
Regeln: Vertrag zwischen den Spielern
-
Lyotard: Spiele haben kämpferischen Charakter, sind
auf Gewinnen ausgerichtet
-
Der soziale Zusammenhang in der Postmoderne: Sprachspiel
-
Sprachspiele: stellen das Minimun an Beziehungen dar, die
für das Bestehen der Gesellschaft erforderlich sind
-
Wissenschaft? Warum kein abgeschlossenes System? (S.
15: So hängt die kommende...)
-
Gödels Unvollständigkeitstheorem: (Kurt
Gödel 1931) - Mathematik - Es gibt arithmetische Aussagen, die für
natürliche Zahlen wahr sind, aber nicht aus den Axiomen beweisbar
-
Lyotard: Verallgemeinerung: Man muß grundsätzlich
über ein formales System hinausgehen in eine Metasprache
-
à natürliche Sprache
(Alltagssprache), in die sich jede andere Sprache übersetzen läßt
-
läßt aber Paradoxa zu (Sprichwörter)
-
à Es gibt keine vollständigen,
widerspruchsfreien, konsistenten Systeme, weil sie immer wieder in der
inkonsistenten Alltagssprache verankert werden müssen (nach Walter
Reese-Schäfer)
-
à einzelne Sprachspiele
in sich konsistent - aber: Es gibt keine Einheit der Vernunft noch der
Sprache
-
à postmoderne Wissenschaft
= diskontinuierlich, katastrophisch, nicht nachprüfbar im klassischen
Sinne
-
möglicher Minimalkonsens: jede Idee wird im Prinzip
erst einmal angehört
-
Konsens außerhalb der Wissenschaft, in Politik und
Gesellschaft?
-
«Wir haben aber mit der Analyse der wissenschaftlichen
Pragmatik gezeigt, daß der Konsens nur ein Zustand der Diskussionen
und nicht ihr Ziel ist.» (S. 189 f.)
-
«Man muß also zu einer Praxis der Gerechtigkeit
gelangen, die nicht an jene des Konsens gebunden ist.» (S. 190)
-
einzelne lokale konsistente Sprachspiele à
Konsens muß lokal und zeitlich begrenzt sein
-
«Diese Orientierung entspricht der Evolution der sozialen
Interaktionen, wo der zeitweilige Vertrag die permanente Institution in
beruflichen, affektiven, sexuellen, kulturellen, familiären und internationalen
Bereichen wie in den politischen Angelegenheiten tatsächlich ersetzt.»
(S. 191)
-
Bsp. Ehe
-
abschließend Vorschlag Lyotards: «Die Öffentlichkeit
müßte freien Zugang zu den Speichern und Datenbanken erhalten.
[...] Denn die Spieleinsätze werden dann durch Erkenntnisse - oder,
wenn man will, Informationen - konstituiert sein, und der Vorrat an Erkenntnissen,
der der Vorrat der Sprache an möglichen Aussagen ist, ist unerschöpflich.»
(S. 193) (Text von 1979!!!)
Home